Was passiert, wenn eine Ausführung auf der Baustelle nicht fachgerecht wirkt oder sogar Menschen gefährden könnte?
In vielen Bauprojekten treten unerwartete Planabweichungen auf. Dabei bildet die VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) den rechtlichen Rahmen für Bauunternehmen, um sich vor unnötigen Haftungsrisiken zu schützen – insbesondere durch eine formgemäße Bedenkenanzeige.
Wer Bedenken nicht korrekt anmeldet, riskiert persönliche Haftung oder die mangelhafte Abnahme des Werks. Der folgende Beitrag zeigt, wie sich technischer Zweifel systematisch, zweistufig und rechtssicher gegenüber dem Auftraggeber äußern lässt – exakt gemäß VOB.
Zweierlei Arten der Bedenkenanzeige laut VOB
Die VOB/B, speziell §4 Absatz 3, sieht vor, dass Auftragnehmer zur rechtzeitigen Anzeige von Bedenken verpflichtet sind, wenn sie Auffälligkeiten oder technische Problemstellungen erkennen. Dabei unterscheidet die praktische und juristische Anwendung klar zwei Szenarien mit unterschiedlichem Handlungspfad:
- Technische Bedenken ohne Gefährdung
- Gefahren für Leib und Leben
Beide Kategorien verlangen unterschiedliche Reaktionen – stets mit dem Ziel: Vertragskonformität und Haftungsausschluss.
Kategorie 1: Technische Bedenken ordnungsgemäß anzeigen
In der ersten Kategorie geht es um technische Bedenken, die das Werk nicht gefährlich machen, wohl aber gegen geltende Normen und „anerkannte Regeln der Technik“ verstoßen. Klassische Beispiele:
- Falsche Materialvorgaben
- Nicht normgerechte Ausführung
- Abweichung von Standards, z. B. Dämmwerte, Gefälle, DIN-Vorgaben
Diese müssen dem Auftraggeber rechtzeitig und schriftlich mitgeteilt werden. Der empfohlene Ablauf:
- Dokumentation der technisch fehlerhaften Vorgabe
- Formulierte Bedenkenanzeige an den Auftraggeber senden
- Auftraggeber ordnet Ausführung trotzdem an → Sicherheit durch Hinweis erfüllt
Juristisch betrachtet ist der Baufachmann damit auf der sicheren Seite, wenn die Ausführung trotz Bedenken auf ausdrückliche Anordnung erfolgt. Der Bauherr trägt dann das Risiko.
Ein zentraler Punkt dabei: Abweichungen von Normen sind erlaubt – allerdings nur dann, wenn trotz der Abweichung nach dem Stand der Technik gearbeitet wird. Andernfalls ist das Werk nicht abnahmefähig.
Beispielhafte Formulierung einer technischen Bedenkenanzeige:
„Gemäß unserer Prüfung weicht die geplante Ausführung im Bereich der Flachdachabdichtung vom allgemein anerkannten Stand der Technik (DIN 18531) ab. Wir weisen entsprechend §4 Abs. 3 VOB/B auf mögliche Mängel hin und bitten um weitere Anweisung.“
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Kategorie 2: Gefahren für Leib und Leben – zweite Bedenkenanzeige zwingend notwendig
Komplexer und rechtlich risikoreicher ist das Szenario, wenn die geplante Ausführung nachweislich zu ernsthaften Gefahren für Personen führen könnte. Die VOB verlangt hier mehr als nur einen formalen Hinweis.
Ein Beispiel aus dem Kontext macht das deutlich:
In einem Krankenhaus soll ein Teilbereich sanitärtechnisch saniert werden. Dabei bleibt jedoch die gefährliche Verbindung zwischen dem neuen Trinkwassersystem und alten Unterflurhydranten bestehen. Folge: Potenzielles Totwassergebiet mit Legionellenrisiko.
->Folge: Die Gefährdung ist real und offensichtlich – es besteht akute Gefahr für Leib und Leben.
Der Arbeitgeber weist dennoch die gefährliche Ausführung an? Dann reicht die erste Bedenkenanzeige nicht mehr aus!
Erforderlich ist dann:
- Eine zweite, explizite Bedenkenanzeige mit Hinweis auf die konkrete Gefährdung
- Dokumentation der Gesundheitsrisiken (z. B. mikrobiologische Belastung)
- Evtl. Einschaltung von Sachverständigen oder Juristen
- Ggf. Leistungsverweigerung nach §4 Abs. 7 VOB/B zur Selbstenthaftung
Stark vereinfachtes Handlungsschema:
- Erste Anzeige: „Technisch problematisch“
- Zweite Anzeige: „Gefährdung für Gesundheit oder gar Leben – Ausführung gefährlich“
Bauträger, Fachplaner und Generalunternehmer erkennen zunehmend, dass ihre vertraglichen Anweisungen nicht ausreichen, um die reine Ausführungshaftung auf den Auftragnehmer abzuwälzen. Mit der zweifachen Anzeige der Bedenken gemäß VOB entsteht ein sauberer Nachweis der Hinweispflicht – auch vor Gericht.
Anweisung bleibt bestehen? → Gewährleistungsausschluss ist möglich
Widerspricht der Auftraggeber trotzdem nicht? → Keine Ausführungspflicht für Unternehmer
Haftungsrisiken systematisch minimieren
Viele Bauunternehmen reagieren zu spät oder zu unprofessionell auf fehlerhafte Planvorgaben. Wer jedoch nach dem Zwei-Stufen-Modell der Bedenkenanzeige arbeitet, ergreift nicht nur professionell Vorsorge, sondern schützt sich vor:
- Eigenverantwortung für Baufehler
- Nachträglicher Haftung durch zivilrechtliche Klagen
- Mängelrügen bei Abweichungen von DIN- oder Herstellerstandards
- Imageschäden durch negative Projektabwicklung
Fazit:
Nur mit systematischer Bedenkenanzeige rechtlich abgesichert
Die Bedenkenanzeige nach VOB ist kein optionales Formdokument, sondern ein zentraler Bestandteil des bauvertraglichen Risikomanagements. In der Praxis entscheidet die korrekte Einordnung – technischer Mangel ohne Gefährdung oder Gefahr für Leib und Leben – über den Erfolg der Absicherung.
Insbesondere bei gravierenden Mängeln oder gesundheitsgefährdenden Ausführungen (Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen) genügt die einfache Formulierung nicht mehr. Hier erfordert das unverzichtbare Instrument der VOB eine zweite Warnung mit klarer Risikoanalyse – und eventuell die Leistungsverweigerung zur Haftungseinschränkung.
FAQ – Häufige Fragen zur Bedenkenanzeige nach VOB
Welche rechtliche Grundlage hat die Bedenkenanzeige?
Die Bedenkenanzeige ist in § 4 Abs. 3 der VOB/B geregelt. Hier wird der Auftragnehmer verpflichtet, dem Auftraggeber rechtzeitig Bedenken gegen die vom Auftraggeber vorgeschlagene Ausführung mitzuteilen.
Wann ist eine zweite Bedenkenanzeige erforderlich?
Immer dann, wenn eine technische Ausführung potenzielle Gefahr für Leib und Leben birgt – z. B. bei mikrobiologischen Risiken in Krankenhäusern oder brandschutztechnischen Unzulänglichkeiten.
Welche Folgen hat unterlassene Bedenkenanzeige?
Wer Bedenken nicht meldet, riskiert erhebliche Haftungsrisiken. Der Auftragnehmer wird womöglich für Mängel verantwortlich gemacht, auch wenn die Ausführung auf Anweisung des Auftraggebers beruhte.
Ist eine Normabweichung grundsätzlich erlaubt?
Ja, jedoch nur dann, wenn sie zusammen mit dem Auftraggeber vereinbart ist und das Werk dennoch gemäß anerkanntem Stand der Technik erstellt wird – andernfalls ist es nicht abnahmefähig.
