Baustelle gestemmt, Abnahme durch, alle zufrieden – und Monate später platzt eine Mangelanzeige ins Postfach. Kratzer hier, Geräusch da, „bitte kurzfristig beheben“. Genau jetzt entscheidet sich, ob Fehler in der Gewährleistungsphase der VOB zur Kostenfalle werden oder sauber abgewehrt, begrenzt und vergütet ablaufen. Der Unterschied: System statt Bauchgefühl. Dieser Leitfaden zeigt, wie Abnahmen, Mangelanzeigen und Nacharbeiten baubetrieblich gemanagt werden – mit klaren Rollen, Schriftform, Nachweisen und kalkulatorischer Konsequenz.
1) Abnahme ohne Druck – und nur nach Prüfung
Abnahmeprotokolle direkt auf der Baustelle zu unterschreiben, ist bequem – und riskant. Unter Zeitdruck, mit halbfertiger Dokumentation und offener Restpunkteliste rutschen Formulierungen durch, die später teuer werden. Besser:
- Protokoll nachreichen lassen (E-Mail, PDF).
- 24–48 Stunden interne Prüfung: Planstand, vertragliche Soll-Leistung, Restmängel, Vorbehalte.
- Vorbehalte formulieren: „Abnahme unter Vorbehalt folgender Punkte …“
- Beweis sichern: Fotodokumentation, Aufmaß, Funktionsnachweise (Inbetriebnahme, Messprotokolle).
Ergebnis: Abnahme bleibt Meilenstein – aber nicht der Startschuss für kostenlose Gewährleistungsabenteuer.
2) Mangelanzeigen: vom Feuerwehrreflex zur Anspruchsprüfung
„Bitte kurzfristig beheben“ ist kein Auftrag, sondern eine Behauptung. Wer sofort losfährt, handelt gut gemeint – und betriebswirtschaftlich schlecht. Richtig ist:
- Schriftlich anfordern: genaue Beschreibung, Ort, Datum, Fotobelege, betroffener Planstand.
- Zuständigkeit prüfen: Eigenes Gewerk? Schnittstelle? Gebrauchsschaden? Fremdverursachung?
- Kausalität verlangen: Warum soll die Ursache in der eigenen Leistung liegen?
- Prüf- und Rechercheaufwand ansetzen: Stundensatz, Fahrt, Gerät – bis zur eindeutigen Klärung.
- Freigabe einholen: „Behebung als Gewährleistung“ oder „Behebung als Regie/kleiner Nachtrag“.
Merke: Nicht jede Mangelanzeige ist ein Mangel – und nicht jeder Mangel ist kostenlos.
3) Zusatzarbeiten: ohne Schriftform kein Werkzeug in die Hand
Die Gewährleistungsphase verführt zu „Kannst du mal eben …?“. Genau hier zerbröselt Marge. Regeln:
- Kein Start ohne schriftliche Beauftragung (Mail reicht, Inhalt muss klar sein).
- Leistungsabgrenzung dokumentieren: Gewährleistung vs. Zusatzarbeit (mit Stunden-/Einheitspreis).
- Material-/Fahrtkosten sauber erfassen, Regiebericht mit Gegenzeichnung oder Zustellnachweis.
- Stoppen, wenn unklar: „Gerne – nach schriftlicher Freigabe.“
So wird Hilfsbereitschaft nicht zur Gratis-Dienstleistung.
4) Schuldzuweisung drehen: vom „Immer die Handwerker“ zum faktenbasierten Prozess
„Die Handwerker sind schuld“ ist ein beliebtes Narrativ. Konter gelingt mit Dokumentation und Taktik:
- Schriftform als Standard: Jede Aussage, jede Anordnung, jeder Befund per E-Mail zusammenfassen.
- Planstand nennen: „Leistung gemäß Plan 04/2024, Index B.“
- Fotostandpunkte definieren: feste Blickwinkel, Zeitstempel, kurze Bildlegenden.
- Rollenklärung: Was ist Bedienfehler? Was ist Wartung? Was ist Herstell- statt Ausführungsfehler?
- Rechtsbeistand früh einbinden, wenn Schuldfragen oder Stillstandsdrohungen aufkommen.
Ziel: Von Meinungen zu prüffähigen Fakten. Das stoppt Verschiebebahnhöfe.
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Checkliste (Sofort einführen)
Abnahme
- Protokoll immer in Ruhe prüfen, Vorbehalte formulieren.
- Restmängel, Inbetriebnahmen, Messprotokolle beifügen.
- Abnahme schriftlich bestätigen – mit Vorbehaltsliste.
Mangelanzeige
- Schriftliche, konkrete Anzeige verlangen (Ort, Bild, Datum).
- Kausalität anfordern; Zuständigkeit prüfen.
- Prüf-/Rechercheaufwand als Regie ansetzen, bis Klärung erfolgt.
Zusatzarbeiten
- Nur mit schriftlicher Freigabe starten.
- Regie-/Stundenzettel täglich, unterschreiben lassen oder sicher zustellen.
- Material-/Fahrt-/Gerätekosten lückenlos erfassen.
Dokumentation
- Feste Fotostandpunkte, Zeitstempel, Bildlegenden.
- E-Mail-Betreff-Standard: „Projekt – Thema – Datum – Referenz“.
Baubetriebliche Stellhebel in der Gewährleistung
- Terminfenster verbindlich machen: „Besichtigung bis [Datum], Behebung bis [Datum] – vorbehaltlich Freigabe und Materialverfügbarkeit.“
- Einsatzplanung realistisch: Kolonne nicht zerreißen; Gewährleistungsfälle bündeln.
- Kostenstellen trennen: Gewähr, Regie, Zusatz – damit der Monatsabschluss stimmt.
- Kennzahl einführen: „Gewährleistungsstunden/Monat“ vs. „vergütete Stunden/Monat“. Ziel: < 3 % der Gesamtstunden unvergütete Gewähr.
Häufige Fehler – und die bessere Alternative
- Fehler: Abnahme „auf Zuruf“ – Besser: Prüfung + Vorbehalt.
- Fehler: Sofort hinfahren – Besser: erst schriftliche, beweisfähige Mangelanzeige.
- Fehler: „Kleinigkeiten“ gratis – Besser: Regie ansetzen, Freigabe einholen.
- Fehler: Schuld übernehmen – Besser: Kausalität klären, Rollen abgrenzen.
Diese vier Weichenstellungen reduzieren Gewährleistungsaufwand spürbar – und machen Kosten sichtbar und steuerbar.
Was das im Betrieb bewirkt
- Mehr Ruhe: Standardisierte Reaktion statt Ad-hoc-Aktionismus.
- Mehr Geld: Recherchen, Anfahrten, Zusatzarbeiten werden abgerechnet – nicht verschenkt.
- Mehr Respekt: Klarer Prozess erzeugt Augenhöhe.
- Weniger Streit: Fakten schlagen Meinungen; die Akte ist „gerichtsfest“ sortiert.
Nächster Schritt (heute umsetzbar)
- Vorlagen (Mail, Protokoll, Regie, Foto-Deckblatt) zentral bereitstellen.
- Team-Briefing 30 Minuten: Ablauf von Abnahme bis Mangelbearbeitung durchgehen.
- Fotostandorte je Projekt definieren; Nummerierung einführen.
- E-Mail-Regel: Jede Telefonabsprache wird kurz schriftlich bestätigt.
- Monatsreport: Gewährleistungsstunden und -kosten transparent machen.
Fazit
Fehler in der Gewährleistungsphase der VOB sind selten technische, fast immer prozedurale Fehler: fehlende Schriftform, unklare Zuständigkeit, großzügige Gratis-Hilfe. Wer Abnahmen prüft, Mangelanzeigen formalisiert, Zusatzleistungen nur mit Freigabe ausführt und jede Kommunikation dokumentiert, holt die Kontrolle zurück – und schützt Marge, Zeit und Nerven. Ab heute gilt: Ruhe bewahren, Fakten sichern, schriftlich handeln – und konsequent abrechnen.
FAQ
Muss jede Mangelanzeige innerhalb von 24 Stunden bearbeitet werden?
Nein. Maßgeblich ist die Verhältnismäßigkeit und Gefahrenabwehr. Akute Sicherheitsrisiken sind sofort zu entschärfen. Ansonsten gilt: Erst Schriftform und Kausalität herstellen, dann terminieren. Ohne eindeutige Zuständigkeit kann als Prüf-/Rechercheleistung gearbeitet und abgerechnet werden.
Darf Prüf- und Rechercheaufwand in der Gewährleistungsphase berechnet werden?
Ja, wenn die Ursache ungeklärt ist oder Fremdverschulden naheliegt. Solange nicht feststeht, dass ein eigener Ausführungsfehler vorliegt, handelt es sich um eine zu vergütende Leistung (Besichtigung, Öffnung, Messung, Dokumentation). Erst bei nachgewiesenem eigenen Mangel greift Gewährleistung ohne Vergütung.
Wie werden „kleine“ Zusatzarbeiten während der Gewährleistung sauber geregelt?
Mit schriftlicher Freigabe vor Beginn. Kurztext, Umfang, Abrechnungsmodus (Regie/EP), Anfahrt/Material – alles in der Mail festhalten. Regie- oder Stundenzettel täglich bestätigen lassen oder per E-Mail nachweisbar zustellen. Ohne Freigabe: Arbeit nicht starten.
Was tun, wenn die Bauleitung keine Unterschrift auf Regieberichte gibt?
Zustellung zählt. Regiebericht am selben Tag per E-Mail an das Projektpostfach senden, ggf. ins CDE hochladen (Protokoll-ID sichern). Im Bericht vermerken: „Unterschrift vor Ort nicht erteilt, Zustellung am [Datum/Uhrzeit].“ Belege (Fotos, Planverweise) anhängen. Damit ist der Nachweisweg geschlossen.